Donnerstag, 5. Mai 2016

An einem ruhigen und warmen Nachmittag starte ich gerade eine kleine Session mit
einem "BingDao" von 2011.

Die Probe liegt schon länger hier rum und der besondere Ruf dieses Tees hat mich immer
ein bisschen abgeschreckt, diese Kostbarkeit zu brühen. ...bin mal gespannt, inwieweit diese
Vorsicht gerechtfertigt ist. Es kann auch ein schöner Tee sein, dem der große Name zu sehr
voraus eilt. Ob die Bezeichnung "BingDao" ihrem Ruf gerecht wird und was sich an Qualität
und Trinkerlebnis dahinter verbirgt, will ich gleich heraus finden.




Das Blatt ist Gushu typisch sehr vollständig und im Ganzen verarbeitet, für die Frische der
Tees sprechen die feineren immer noch mit silbernen Härchen bedeckten Blätter, auch sehr
dünne und schon leicht kupferfarbene Sprossen sind in dem Stück verarbeitet, dass gerade vor
mir liegt. Diese verschiedenen Blattgrade und das Alter der Blätter zum Zeitpunkt des
Pflückens hat doch einen entscheidenden Einfluss auf den gebrühten Tee. Die Tasse ist voller,
vielschichtiger und insgesamt dichter.





Während der erste Aufguss relativ gleichförmig war, bringt der Zweite jetzt deutlich mehr
auf den Gaumen. Neben einer sehr tiefen Herbe (nicht aggressiv, aber langanhaltend)
kommt auch etwas Frucht und einige andere Nuancen, die ich so gar nicht benennen kann.
Der Nachgeschmack hält noch weiter an, aber auch hier ist eine gewisse Herbe vorhanden,
die fast schon etwas trocken wirkt.




Der nächste Aufguss ist schon deutlich harmonischer. Süße und Herbe sind jetzt schön
in Balance und auch die verspielten Aromen, wie Citrus und Limette kommen gut zur
Geltung. Was jedoch auch hier im Nachhinein auffällt, ist die verbleibende Herbe.
Wenn man bei Tee aus der Bulang-Region von Herbe, oder auch Bitterkeit redet, so
wird diese oft von einer intensiven Süße begleitet, die sich gerade im Nachgang deutlich
zeigen sollte. Das vermisse ich leider bei dieser Session.

Um den Tee auf Gefälligkeit hin zu brühen, hätte man etwas weniger Blatt und längere
Ziehzeiten wählen können. Aber wie in China oft praktiziert, brüht man pu´erh gerne
heiß um möglichst viele Aromen und auch verschiedene Seiten eines Tees kennen zu
lernen.

Das ist letztlich Geschmackssache und ich habe auch lange mit kleineren Mengen
und Ziehzeit experimentiert. Was in dem Zusammenhang immer wieder aufgefallen ist,
dass Tees von anderen Personen immer etwas strenger, aber auch prägnanter und
vielschichtiger waren und man tatsächlich die Unterschiede von Verarbeitung und
Herkunft besser benennen konnte. Wie man letztlich verfährt, bleibt der eigenen
Vorliebe überlassen, aber es lohnt sich auch, die Methoden von Zeit zu Zeit zu
wechseln und das Ergebnis kritisch zu hinterfragen.






Das gebrühte Blatt kommt sehr intakt und saftig daher, leider haben diese Eigenschaften
keine allzu große Auswirkung auf den gebrühten Tee gehabt, was mich doch etwas
enttäuscht.

Woran kann das liegen? Zum einen liegt die Probe bestimmt schon 1 1/2 Jahre bei mir
rum und das Stück von etwa 10g war die ganze Zeit in einer Folie verpackt. Wenig frische
Luft, zu wenig Feuchtigkeit und auch zu wenig Material, als dass sich die Lager-
Bedingungen von selbst hätten bilden und stabilisieren können.

Auf der anderen Seite habe ich schon öfter Tees in sehr kleinen Mengen in solchen Tüten
gehabt und die waren deutlich präsenter und lebendiger als der heutige Kandidat. Es
verbleibt noch genug Blatt für eine weitere Session, mal sehen, ob doch noch mehr zu
holen ist. In diesem Fall wurde der gute Ruf dem Tee nicht wirklich gerecht, schade!

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